Eeva-Liisa Manner: Das Mädchen auf der Himmelsbrücke

  Zwischen Wasser und Himmel

Das Heben unbekannter Schätze der nord- und osteuropäischen Literatur ist das Markenzeichen von Sebastian Guggolz und seinem Verlag. Nicht nur wegen der räumlichen Nähe und der ebenso außergewöhnlich schönen Einbandgestaltung erinnert Das Mädchen auf der Himmelsbrücke der finnischen Lyrikerin, Prosaautorin und Übersetzerin Eeva-Liisa Manner (1921 – 1996) an die wundervollen Romane des Norwegers Tarjei Vesaas (1897 – 1979), auch inhaltlich, bezüglich der lyrischen Sprache und der magischen Bilder gibt es Parallelen zu Das Eis-Schloss und Die Vögel. Umso erstaunlicher, dass von Eeva-Liisa Manner, die als Pionierin der literarischen Moderne Finnlands gilt, bisher nur einige Gedichte ins Deutsche übersetzt wurden. Nun liegt ihr Romandebüt von 1951 auf Deutsch vor und wie immer würdigt der Guggolz Verlag den Übersetzer Maximilian Murmann auf dem Einband.

Kein Märchen – trotz märchenhafter Anklänge
Die neunjährige Leena wächst bei ihrer Großmutter auf, einer von Schicksalsschlägen gebeutelten, streng protestantischen, schattenartigen Frau, die „ihre Zärtlichkeit längst aufgebraucht“ (S. 29) hat. Elternlos fühlt Leena eine Einsamkeit in sich, für die sie keine Worte findet. Sie sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit, doch wenn das Schicksal ihr einen Zipfel vom Glück zuspielt, entgleitet er ihr. Der Nachbarsjunge mit den abenteuerlichen Spielen und Geschichten ist genauso aus ihrem Leben verschwunden wie der Drehorgelmann, der heißgeliebte Onkel Eevertti Anselmi kommt selten und steht unter Beobachtung seiner eifersüchtigen Frau. Nur die strenge, steinharte, ungerechte Lehrerin, die sie fürchtet, „so, wie sie alle Menschen fürchtete, die kein Lächeln besaßen“ (S. 11), bleibt neben der Großmutter eine Konstante in Leenas Leben.

Ihr Zufluchtsort ist eine Brücke über eine Meeresbucht am Stadtrand. Zwischen dem ebenso geliebten wie gefürcheten Wasser und dem Himmel kann sie ihren Sehnsüchten, Gedankenspielen und Träumen freien Lauf lassen:

Unter Wasser ziehen… Aber im Wasser konnte sie nicht leben. Was für ein Gefühl wäre es wohl, im Wasser zu sterben? (S. 22)

Eine Wende scheint greifbar, als Leena bei einem Spaziergang in eine römisch-katholische Kirche kommt und dort nicht nur einer freundlichen Nonne, sondern auch der Orgelmusik von Johann Sebastian Bach begegnet. So wie der Protagonist Mattis in Tarjei Vesaas‘ Die Vögel im Balzflug der Waldschnepfe einen Wendepunkt in seinem Leben zu erkennen glaubt, so eröffnet sich auch für die von der Musik völlig überwältigte Leena eine neue Welt.

Leena – das Mädchen zwischen Wasser und Himmel mit dem Wiesenkerbel und dem violetten Regenschirm. © B. Busch

Eigene Kindheitstraumata
Das Mädchen auf der Himmelsbrücke gilt als stark autobiografischer Roman und spielt in Viipuri (Wyborg), Manners karelischer Kindheitsstadt, die Finnland im Winterkrieg 1939/40 an die Sowjetunion verlor. Im Anfangssatz nimmt sie den Verlust vorweg:

Es war einmal, nicht weit von hier und vor nicht allzu langer Zeit, ein Stück Geometrie, das zu Holz und Stein geworden war, eine Stadt, die es nicht mehr gibt. (S. 7)

Auch wenn das nur 134 Seiten umfassende, für eine Leserschaft abseits des Mainstreams bestens geeignete Büchlein mich bei Leenas Gespräch mit dem blinden Organisten kurzzeitig verlor, fand ich glücklicherweise schnell zurück in diese in luftiger Prosa konsequent aus Leenas Sicht erzählte, auf der Grenze zwischen Realität und Traum balancierende Geschichte eines empfindsamen, sehnsüchtigen Kindes.

Antje Rávic Strubel würdigt in ihrem ebenso hilfreich-informativen wie persönlichen Nachwort Autorin und Werk gleichermaßen.

Eeva-Liisa Manner: Das Mädchen auf der Himmelsbrücke. Aus dem Finnischen von Maximilian Murmann. Mit einem Nachwort von Antje Rávik Strubel. Guggolz 2022
www.guggolz-verlag.de

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